Marketingmodelle am Limit: Wie KI, Social Media & Mobilität klassische Strategien überflüssig machen
Es gibt zwei Sorten von Unternehmen: Die einen halten sich an bewährte Modelle. Die anderen verstehen, dass genau das ihr größter Fehler ist.
Marketing war lange eine Disziplin der Struktur. Wer die richtigen Modelle kannte – 4P, AIDAS, STP, Ansoff –, konnte Märkte segmentieren, Kunden analysieren, Kampagnen planen und Produkte entwickeln. Modelle waren Landkarten für eine Welt, die sich nur langsam veränderte. Eine Welt, in der der Homo oeconomicus mit einem klar definierten Kaufprozess auf ein lineares Werbesignal reagierte.
Doch heute? Heute steuern Algorithmen die Sichtbarkeit, Plattformen kontrollieren den Zugang zum Markt und Künstliche Intelligenz entscheidet, was überhaupt relevant ist. Wer in dieser Realität noch glaubt, mit klassischen Strategiemodellen Kunden zu erreichen, der versucht, mit einem Stadtplan von 1973 durch das Internet zu navigieren.
Dieser Artikel ist keine Polemik gegen bewährte Denkrahmen. Es ist eine kritische Relektüre. Zehn der einflussreichsten Marketingmodelle werden auf den Prüfstand gestellt – nicht weil sie falsch sind, sondern weil sie radikal unzureichend geworden sind. Wir sezieren die Klassiker und setzen sie neu zusammen: erweitert um KI, soziale Netzwerke, Mobilitätslogik und algorithmische Realität.
Denn eines ist klar: Wer die Modelle nicht versteht, versteht den Wandel nicht. Und wer den Wandel nicht gestaltet, wird von ihm gestaltet – oder überrollt. Willkommen im Marketing-Zeitalter der Disruption.
4P ist tot – und das ist gut so
Marketing-Mix ohne KI? Wie mit Feuerstein grillen.
Wenn Sie im Jahr 2025 noch mit Product, Price, Place und Promotion hantieren wie mit antiken Artefakten, ignorieren Sie die Realität: Die Welt ist mobil, intelligent und personalisiert – und Ihre Zielgruppe ist längst weitergezogen. Produkte sind heute Softwareplattformen, Preise variieren in Echtzeit, „Place“ ist ein Algorithmus, und Promotion ist Predictive AI.
Was zählt, ist 4P+. Plus KI, plus Plattformdenken, plus soziale Netzwerke. Wer heute Marketing macht, muss das System erweitern oder sich verabschieden. Die Wahl ist nicht zwischen klassisch und modern, sondern zwischen Relevanz und Unsichtbarkeit.
AIDAS? Nur noch eine Fußnote im Feed
Vom Funnel zum Feed: Warum Kunden nicht mehr linear denken – sondern algorithmisch handeln.
AIDAS – Attention, Interest, Desire, Action, Satisfaction – war einst das Evangelium der Werbende. Doch in der Gegenwart von TikTok, ChatGPT und One-Tap-Purchase mutiert es zur musealen Erinnerung an eine analoge Kaufreise.
Attention? Entscheidet die KI. Inhalte, die nicht algorithmisch priorisiert werden, sind tot.
Interest? Wird vorhergesagt – durch Predictive Analytics, nicht durch Werbesprüche.
Desire? Entsteht sozial: Wenn der Social Graph nicht feuert, passiert gar nichts.
Action? Muss frustfrei, sprach-gesteuert, mobil und unsichtbar sein.
Satisfaction? Ist nicht mehr ein „Punkt“, sondern ein permanenter, KI-optimierter Prozess.
Die Wahrheit ist unbequem: Wer AIDAS nicht digitalisiert, wird vom Kaufprozess ausgeschlossen. Kunden entscheiden nicht mehr – Algorithmen tun es für sie. Sie sollten lernen, wie man diese Systeme füttert. Schnell.
ACID-Test? Heute reagiert der Algorithmus
Von der Entscheidung zur Delegation: Warum Ihr Funnel fremdgesteuert ist.
Awareness, Consideration, Intent, Decision – der ACID-Test versprach einst Klarheit über den Kaufprozess. Heute zeigt er nur noch, wie wenig Kontrolle Unternehmen eigentlich haben. Denn jede dieser Stufen wurde längst von Plattformen übernommen.
Awareness? Kommt nicht durch Lautstärke, sondern durch algorithmisches Ranking.
Consideration? Wird durch Machine Learning vorgesagt, nicht von Kunden reflektiert.
Intent? Ist sozial vermittelt – Likes, Shares, Influencer-Traffic.
Decision? Wird durch Usability und nahtlose Transaktionen automatisiert.
Der neue ACID-Test heißt ACID+, ein System, das nicht linear funktioniert, sondern iterativ, dynamisch und sozial codiert. Wer versucht, die alte Logik durchzuhalten, wird scheitern – nicht weil der Test falsch ist, sondern weil die Welt schneller geworden ist als die Modelle.
STP ist eine Sackgasse
Zielgruppen waren gestern – heute zählt die Zielperson im Kontext.
Segmentierung, Targeting, Positionierung: Das STP-Modell geht davon aus, dass Unternehmen bestimmen, wen sie erreichen und wie sie sich darstellen. Das ist romantisch – und falsch.
Segmente entstehen heute nicht mehr durch Demografie, sondern durch KI.
Targeting funktioniert nicht mehr über Personas, sondern über Social Graphs.
Positionierung ist nicht mehr statisch, sondern kontextuell – je nach Kanal, Zeit, Situation.
STP+ heißt: dynamische, algorithmisch generierte Cluster, die sich in Echtzeit neu formieren. Wer heute noch Zielgruppen „definiert“, hat nicht verstanden, dass Plattformen das längst für uns tun – und zwar besser.
BCG-Matrix – vom heiligen Tool zum digitalen Anachronismus
Cash Cows sterben nicht – sie werden automatisiert ersetzt.
Stars, Cash Cows, Question Marks und Poor Dogs – das klingt nach Unternehmenszoo, ist aber in Wahrheit eine strategische Vereinfachung aus der Vor-KI-Ära. In einer datengetriebenen Plattformökonomie ist die klassische BCG-Matrix so relevant wie ein Blackberry im App Store.
Stars? Sind KI-native Ökosysteme.
Cash Cows? Müssen algorithmisiert werden, sonst werden sie überrollt.
Question Marks? Sind keine Frage, sondern eine Wette auf disruptives Potenzial.
Poor Dogs? Sind Legacy-Systeme ohne Datenstrategie.
Wer heute die BCG-Matrix nicht digitalisiert, kartografiert ein Gelände, das es längst nicht mehr gibt. Willkommen in der Matrix+, adaptiv, lernend, unbarmherzig.
Ansoff hat ausgedient – willkommen im KI-Wachstum
Wachstumsstrategien ohne Plattformlogik sind strategische Selbstsabotage.
Marktdurchdringung, Marktentwicklung, Produktentwicklung, Diversifikation: So plante man Wachstum, als Expansion noch in Excel-Zellen stattfand. Heute entscheidet nicht mehr Planung über Wachstum – sondern Plattformen, Algorithmen und personalisierte Skalierung.
Marktdurchdringung? Geht nur noch über Hyperpersonalisierung.
Marktentwicklung? Bedeutet: Plattform statt Region.
Produktentwicklung? Wird durch KI identifiziert, nicht durch Kundenbefragung.
Diversifikation? Heißt heute: das eigene Geschäft disruptiv neu denken – oder untergehen.
Ansoff+ ist nicht einfach ein Update – es ist ein Paradigmenwechsel. Wer nicht KI als Wachstumsarchitektin begreift, wird von Plattformen ohne Rücksicht marginalisiert.
Porter's Five Forces – ein nostalgischer Irrtum
Die Konkurrenz heißt heute nicht Mitbewerb – sondern Plattform.
Bedrohung durch neue Wettbewerber, Verhandlungsmacht der Lieferanten, Bedrohung durch Ersatzprodukte, Verhandlungsmacht der Kunden, Wettbewerbsrivalität – Porter's Five Forces war ein Meilenstein. Heute sind es fünf nostalgische Fußnoten.
Disruptoren sind keine Startups, sondern KI-basierte Ökosysteme.
Macht liegt nicht bei Lieferanten, sondern bei Plattformen mit Kundenzugang.
Kunden kaufen nicht mehr – sie folgen sozialen Netzwerken.
Produkte werden nicht ersetzt – sie werden durch Services absorbiert.
Wettbewerb findet in Algorithmen statt – unsichtbar, aber brutal.
Porter+ Forces bedeutet: Sie kämpfen nicht mehr gegen Konkurrenz – Sie kämpfen um Sichtbarkeit im Feed. Wer das nicht versteht, verliert. Leise. Unaufhaltsam.
Der Produktlebenszyklus stirbt – oder wird unsterblich
Von linear zu zirkulär: Warum Produkte nicht mehr sterben, sondern sich neu erfinden.
Einführung, Wachstum, Reife, Rückgang – der Produktlebenszyklus war die DNA vieler Strategien. Doch in der Plattformwelt mit KI-getriebener Entwicklung gibt es keinen „natürlichen“ Rückgang mehr. Produkte werden nicht alt – sie werden geupdatet.
Einführung? Passiert auf Basis von Predictive Market Modeling.
Wachstum? Skaliert über virale Social Graphs.
Reife? Ist eine Illusion – Updates machen Produkte permanent frisch.
Rückgang? Wird durch datenbasierte Renaissance ersetzt – oder durch Disruption vernichtet.
Wer denkt, Produkte sterben von selbst, hat die neue Biologie der Plattformwirtschaft nicht verstanden. Produkte leben – solange der Algorithmus sie füttert.
Das Diffusionsmodell ist algorithmisch ersetzt worden
Von Innovatoren zu KI-gesteuerten Adoptionstriggern: Die Revolution der Marktübernahme.
Innovatoren, Frühadopter, Mehrheit, Nachzügler – Rogers’ Modell war eine Landkarte für Innovation. Heute ist es ein Faxgerät in einer Welt voller Neuralchips.
Innovatoren? Sind heute Algorithmen.
Frühadopter? Heißen jetzt Influencer mit Social Graph Power.
Mehrheit? Wird per Plattform-Freigabe getriggert.
Nachzügler? Gibt es nicht – nur noch User, die keinen Exit-Button mehr finden.
Diffusion ist kein sozialer Prozess mehr – sondern ein technischer Mechanismus. Wer Reichweite will, muss Plattformlogiken hacken – oder draußen bleiben.
Begeisterung ist keine Emotion mehr – sie ist eine Datenoperation
Kundenzufriedenheit 2025: Wenn das Kano-Modell auf KI trifft.
Grund-, Leistungs- und Begeisterungsmerkmale – das Kano-Modell erklärte einst, warum Menschen Produkte mögen. Heute? Mögen wir, was die KI sagt – weil sie weiß, was uns gefällt, bevor wir es selbst wissen.
Grundmerkmale? Sind 24/7 Support und Echtzeitpersonalisierung.
Leistungsmerkmale? Sind datenbasierte Features, die man nicht mal sieht.
Begeisterung? Ist das Ergebnis eines KI-optimierten Moments zur richtigen Zeit.
Das neue KIKano-Modell ist keine Theorie – es ist Realität. Wer heute nicht begeistert, wird vergessen. Und wer nur noch zufriedenstellt, wird ersetzt.
Wer Modelle nicht hinterfragt, wird vom System ersetzt
Marketingmodelle waren einst Navigationsinstrumente – geschaffen für eine Welt, in der Märkte vorhersehbar, Produkte greifbar und Kunden steuerbar waren. Doch diese Welt existiert nicht mehr. An ihre Stelle ist ein System getreten, das nicht mehr linear, sondern vernetzt denkt. Nicht mehr analog, sondern algorithmisch. Nicht mehr planbar, sondern prädiktiv.
Was all die Modelle – von 4P bis Kano – eint: Sie sind nicht falsch. Sie sind nur unvollständig. In einer Zeit, in der Kaufentscheidungen in Millisekunden durch KI getroffen, durch soziale Netzwerke beeinflusst und durch Mobilität beschleunigt werden, braucht es eine radikale Erweiterung des Denkens.
Die gute Nachricht? Die Mechanik hinter diesen Disruptionen ist kein Hexenwerk. Sie ist erlernbar, gestaltbar – und nutzbar. Die schlechte Nachricht? Wer sie ignoriert, wird nicht langsam abgehängt, sondern schlagartig irrelevant.
Die Zukunft des Marketings ist kein Modell. Sie ist ein lernendes System.
Und wer nicht mitlernt, wird gelöscht – nicht nur aus den Feeds, sondern aus dem Bewusstsein der Zielgruppe.
Jetzt ist der Moment, alte Gewissheiten zu hinterfragen. Und neue Antworten zu entwickeln, die nicht nur klingen wie Zukunft – sondern sich auch so verhalten.