Big Brother trägt jetzt Hoodie – und trainiert auf GPT-5.

Mein Kommentar zur “Digital Business” Masterarbeit “Sozialkredit-Punktesystem in China – Chancen und Gefahren”

Was früher der Albtraum dystopischer Science-Fiction war, ist heute Teil der digitalen Realität: Das Sozialkredit-System in China ist nicht bloß ein Konzept aus Orwell’scher Restekiste, sondern eine gelebte Infrastruktur des Gehorsams, gepaart mit digitalem Scorekeeping in Realtime. Willkommen in der Ära der quantifizierten Moral – powered by Gesichtsscanner, Apps und algorithmischer Deutungshoheit.

China baut ein Sozial-OS – und der Rest der Welt schaut zu.

Das Prinzip ist so simpel wie beunruhigend: Wer sich staatskonform verhält, erhält Punkte. Wer Regeln missachtet, verliert sie – und mit ihnen Zugang zu Zügen, Krediten oder Online-Dating. Die Evolution des autoritären Staates hat damit ein digitales Update bekommen – Version 4.0: zentralisiert, automatisiert, individualisiert.

Doch die eigentliche Provokation liegt nicht in der Erfindung. Sondern in der Präzision, mit der dieses System vorführt, was technologisch längst auch im Westen möglich wäre. Was in China „Sozialkredit“ heißt, nennen wir in Europa „Schufa“, „KYC“, „Verhaltensanalyse“, „Scoring“. Die Unterschiede? Semantik. Und PR.

Digitale Erziehungscamps für die Gesellschaft

Die Systemlogik: Vertrauen wird ersetzt durch Kontrolle. Selbstoptimierung wird zum Staatsauftrag. Moral outsourced an KI-Algorithmen. Das System belohnt das richtige Verhalten – definiert von einem Regime, das Meinungsvielfalt nicht als Bereicherung, sondern als Fehler im Code betrachtet.

Und während wir in Europa noch Ethikkommissionen gründen, wird in China schon gescannt, gerankt und sanktioniert. Bürger*innen werden nicht nur vom Staat bewertet, sondern auch von Nachbarn, Freunden, Verwandten – die Kontrolle wird sozialisiert. Orwell hätte geweint. Kafka hätte gestaunt. Amazon würde ein Loyalty-Programm daraus machen.

Was hat das mit uns zu tun? Mehr als uns lieb ist.

Denn: Auch im Westen wird Verhalten zunehmend bewertet – durch Likes, Retention-Scores, Kreditwürdigkeit, Versicherungsprämien. Der Unterschied? Bei uns übernimmt das Scoring nicht der Staat, sondern der Markt. Willkommen in der liberalisierten Version des digitalen Bewertungsstaats.

Und mit der rasanten Entwicklung von generativer KI à la GPT-5, Sora & Co. betreten wir die nächste Stufe. Nicht nur Überwachung wird einfacher, sondern die Simulation von Verhalten. Predictive Policing auf Steroiden, Vertrauen delegiert an neuronale Netze. KI-gestützte Systeme könnten morgen in der Lage sein, aus deinem Browserverlauf deinen politischen Kompass, deinen Gesundheitsstatus oder deine Loyalität zum System abzuleiten. Für eine Bonusmeile – oder ein Reiseverbot.

Das ist kein chinesisches Problem – es ist ein globaler Kipppunkt.

Die eigentliche Frage ist nicht, ob wir so ein System könnten, sondern: Wollen wir es? In China zeigt sich die radikale Version eines digital gesteuerten Gesellschaftsvertrags. Im Westen bahnt sich eine weichgespülte Variante an, orchestriert von Plattformökonomie und Staatsnähe light.

Die entscheidende Unterscheidung wird nicht sein: „Staatlich“ vs. „privat“. Sondern: transparente Kontrolle vs. intransparente Manipulation. Der eine trägt Uniform, der andere Hoodie.

Fazit?

Das Sozialkredit-System ist weniger ein fernöstliches Kuriosum als ein Lackmustest für unsere digitale Ethik. Die Frage, die bleibt, lautet: Wollen wir in einer Welt leben, in der Maschinen unser „gutes Leben“ vermessen – und das „schlechte“ mit Reiseverboten bestrafen?

Credits

Digital Business Masterarbeit “Sozialkredit-Punktesystem in China – Chancen und Gefahren” (Download)

Fachhochschule: Technikum Wien

Autor: Dhiraj Ahluwalia

Begutachter*in: Sedat Büyükdemirci

Datum: 23.9.2020

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